Die Jugendhilfe als starke Partnerin der rechtskreisübergreifenden Zusammenarbeit

Dokumentation des Fachforums der Servicestelle Jugendberufsagenturen auf dem Deutschen Kinder- und Jugendhilfetag 2021

Aus unterschiedlichen Blickwinkeln haben Expertinnen und Experten im Rahmen eines Fachforums diskutiert, welche Bedingungen die Jugendhilfe zu einer starken Partnerin in der rechtskreisübergreifenden Zusammenarbeit machen. Das Fachforum wurde von der Servicestelle Jugendberufsagenturen auf dem 17. Deutschen Kinder- und Jugendhilfetag am 19. Mai 2021 veranstaltet.

Copyright Informationen anzeigenDas Bild zeigt zwei junge Frauen im Gespräch.
Eine zentrale Aufgabe der Jugendhilfe ist es, Jugendliche in ihrer Selbstwirksamkeit zu unterstützen.

Die Rolle der Jugendhilfe am Übergang Schule – Beruf

Durch die Kooperation der drei Rechtskreise SGB II, III und VIII sollen jungen Menschen am Übergang Schule – Beruf passgenaue Unterstützung erhalten. Dafür ist eine gute Zusammenarbeit der Sozialleistungsträger auf Augenhöhe ein Erfolgsfaktor. Wie sich die Jugendhilfe als gleichberechtigte Partnerin in die rechtskreisübergreifende Kooperation einbringen kann, war das Thema eines Online-Fachforums der Servicestelle Jugendberufsagenturen im BIBB, das im Rahmen des deutschen Kinder- und Jugendhilfetags stattgefunden hat.

Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Verwaltung und Praxis diskutierten die Rolle der Jugendhilfe am Übergang Schule – Beruf und in der rechtskreisübergreifenden Zusammenarbeit. Dabei wurde deutlich, dass die Möglichkeiten der Jugendberufshilfe und der Jugendsozialarbeit in den Kommunen vor Ort sehr unterschiedlich sind und eine gleichberechtigte Zusammenarbeit der Rechtskreise nicht selbstverständlich und von Anfang an gegeben ist. Die Diskussionsteilnehmenden waren sich allerdings einig, dass die Einbindung der Jugendhilfe in die Jugendberufsagentur ein lohnenswertes Ziel sei, da die Jugendhilfe mit ihrer ganzheitlichen Perspektive auf die jungen Menschen in der schwierigen Phase des Übergangs von großer Bedeutung ist und eine Beratung und Unterstützung über die Integration in Ausbildung und Arbeit hinaus ermöglicht.

Wenn Struktur, Ressourcen und der gemeinsame Wille der Beteiligten vorhanden sind, lässt sich viel erreichen.

Oliver Dick, ISM

Aus der Forschung: Gesamtpartnerschaften (noch) eher die Ausnahme

In einem fachlichen Input stellte Sybille Stöbe-Blossey – Leiterin der Forschungsabteilung Bildung, Entwicklung, Soziale Teilhabe (BEST) am Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg Essen – Forschungsergebnisse zur Zusammenarbeit der drei Rechtskreise SGB II, III und VIII am Übergang Schule – Beruf vor. Eine Gesamtpartnerschaft, an der alle Rechtskreise gleichermaßen beteiligt sind, kam in den von ihr untersuchten rechtskreisübergreifenden Kooperationen selten vor und gelang überwiegend dort, wo eine Jugendberufsagentur schon längere Zeit bestanden hat. In einigen vom Team des IAQ untersuchten Kooperationsbündnissen kam es zu einer intensiven Zusammenarbeit zweier Rechtskreise, während der dritte strukturell wenig bis gar nicht eingebunden war. Meist bestand diese Form der Zusammenarbeit zwischen der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter, seltener zwischen dem Jobcenter und dem Jugendamt.

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Die Struktur der Jugendhilfe

Sie betonte zudem die Rolle der kommunalen Führungsebene. Es sei wichtig, so Stöbe-Blossey, dass diese sich aktiv in die Gründung, Strukturierung und Weiterentwicklung der Zusammenarbeit einbringe, um eine erfolgreiche Kooperation zu etablieren. Auch merkte sie an, dass es hilfreich sei, bei der Einbindung der Jugendhilfe zu berücksichtigen, dass für die Fach- und Führungskräfte des SGB II und SGB III die komplexe Struktur der Jugendhilfe mit ihren vielfältigen Aufgabenfeldern und Akteuren verwirrend sein könne. Es sei daher wichtig, diese komplexen Strukturen den anderen Partnerinnen und Partnern transparent darzustellen, um gegenseitiges Vertrauen, gemeinsames Wissen und verlässliche Prozesse gemeinsam zu schaffen.

Die Präsentation zum Input von Sybille Stöbe-Blossey können Sie hier herunterladen:

Der Fachaustausch: Zusammenarbeit auf Augenhöhe ist ein Prozess

Im Rahmen des Fachforums diskutierten miteinander Birgit Beierling (Paritätischer Wohlfahrtsverband e. V und Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit), Dr. Oliver Dick (Institut für Sozialpädagogische Forschung Mainz e.V.), Petra Jochum (Landkreis Neunkirchen), Christiane Polduwe (Bundesministerium für Arbeit und Soziales) und Prof. Dr. Sybille Stöbe-Blossey (Institut Arbeit und Qualifikation).

Die Diskussionsteilnehmenden stimmten überein, dass die Etablierung einer guten rechtskreisübergreifenden Zusammenarbeit ein langer, kontinuierlicher Prozess ist, der nur durch die gemeinsame Anstrengung aller Beteiligten gelingt. Die unterschiedlichen Aussagen, wie die Jugendhilfe in diesem Prozess eine starke Partnerin werden kann, lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

Ressourcen der Jugendhilfe

Einigkeit bestand bei den Diskussionsteilnehmenden darüber, dass ohne ausreichend finanzielle und personelle Ressourcen eine größere Schwierigkeit für die Jugendhilfe bestehe, sich vor Ort mit ihren Leistungen einzubringen. Um sich mit den Leistungen der Jugendhilfe in das Portfolio der rechtskreisübergreifenden Kooperation einbringen zu können, benötige man Ressourcen– und diese seien nicht in allen Kommunen ausreichend vorhanden. Christiane Polduwe verwies in diesem Zusammenhang auf den § 16 h SGB II, der eine Zusammenarbeit zwischen den Rechtskreisen erleichtern und über finanzielle Engpässe im SGB VIII hinweghelfen solle. Petra Jochum und Birgit Beierling plädierten für die Einführung eines gemeinsamen Fördertopfes der Rechtskreise, um mehr Planungssicherheit auf Seiten der Jugendhilfe zu schaffen.

Rückhalt aus Verwaltung und Politik

Neben genügend Ressourcen, auch hier herrschte große Einigkeit unter den Diskussionsteilnehmenden, brauche es entsprechende Strukturen, innerhalb derer eine Zusammenarbeit etabliert werden kann. Oliver Dick führte die Bedeutung des Rückhalts aus Politik und Verwaltung auf der kommunalen Ebene aus, um entsprechende Strukturen sowie ausreichende Ressourcen für die Jugendhilfe vor Ort zu schaffen. Hilfreich sei es dabei den Mehrwert der Jugendhilfe für die Jugendlichen und die Bündelung der Angebote über die rechtskreisübergreifende Zusammenarbeit hervorzuheben. Zudem sei es wichtig, dass die Leitungsebene der einzelnen Leistungsträger hinter dem Vorhaben stehen, da sie die Strukturen für die Zusammenarbeit auf operativer Ebene schaffen. Birgit Beierling ergänzte, dass es zudem eine große Hilfe sei, wenn das jeweilige Bundesland versuche innerhalb des Landes vergleichbare Strukturen am Übergang zu schaffen und die Kommunen in ihren Aufgaben zu unterstützen.

Verhältnis zwischen den Rechtskreisen

Die drei Rechtskreise unterscheiden sich in ihren formalen Strukturen, ihren Möglichkeiten und Aufträgen. Dies stellt eine Herausforderung für die Etablierung einer Zusammenarbeit und einer Einbindung der Jugendhilfe dar. Sybille Stöbe-Blossey erklärte, dass die Bereitschaft der Beteiligten eine Zusammenarbeit aufzubauen essentiell sei. Man müsse bereit sein nicht nur die Ziele der eigenen Institution in den Vordergrund zu stellen und erkennen, dass die jeweiligen Ziele im Grunde komplementär seien. Christiane Polduwe bezeichnete den gegenseitigen Austausch und das Voneinander-Lernen als Grundlage der gemeinsamen Arbeit. Auch das gleichberechtigte Auftreten nach Innen und Außen sowie die klare Kommunikation der Zuständigkeiten wurde als wichtiges Element der Zusammenarbeit genannt.

Jugendliche im Mittelpunkt

Eine zentrale fachliche Kompetenz der Jugendhilfe ist der ganzheitliche Blick auf den jungen Menschen. Birgit Beierling führte aus, dass es bei der Etablierung einer Jugendberufsagentur nicht nur um die reine Zusammenarbeit der Behörden ginge, sondern im Schwerpunkt um die gemeinsame Unterstützung der jungen Menschen am Übergang Schule – Beruf. Gerade mit dem Blick auf die Zielgruppe besonders benachteiligter Jugendlicher, gebe es Ansätze für die Zusammenarbeit zwischen dem SGB II und dem SGB VIII und die entsprechende Einbindung der Jugendhilfe, so Oliver Dick. Ziel sei es, dass sich das Handeln und die Gestaltung der Angebote der Jugendberufsagentur an den Bedarfen der Jugendlichen ausrichtet.

Es geht darum zu erkennen, dass die jeweiligen Ziele im Grunde genommen komplementär sind.

Sybille Stöbe-Blossey, IAQ

Der Blick in die Praxis: Die Jugendhilfe als wichtige Vermittlerin

Petra Jochum berichtete in einem Kurzinput aus der Praxis der Jugendhilfe in der Jugendberufsagentur im Landkreis Neunkirchen. Sie zeigte welche Ressourcen und Angebote die Jugendhilfe in die Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter einbringen kann, wenn sie gut eingebunden ist. Sie erklärte, durch die ganzheitliche Perspektive habe die Jugendhilfe in der Jugendberufsagentur Neunkirchen sowohl die berufliche Situation als auch familiäre und soziale Problemlagen der jungen Menschen im Blick. Dadurch nehme sie vor Ort eine wichtige (Vermittler)Rolle und Schnittstellenfunktion zu den anderen Rechtskreisen ein – insbesondere im Falle von Jugendlichen mit erhöhtem Unterstützungsbedarf.

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Schnittstellen der Zusammenarbeit

In der Jugendberufsagentur im Landkreis Neunkirchen ist der zentrale Beitrag der Jugendhilfe das Jugendberatungszentrum Kompass, das allgemeine Beratung und Casemanagement sowie Unterstützung bei der Reintegration von Schulverweigerern anbietet. Petra Jochum berichtete, dass Schülerinnen und Schüler ab der achten Klassenstufe durch die Kompass-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter Unterstützung erhielten rund um den Übergang Schule – Beruf und bei persönlichen oder familiären Fragen. Dabei bestehe eine Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen im Jobcenter und in der Agentur für Arbeit, um im Bedarfsfall zu vermitteln. Auch bei Förderkonferenzen und der Berufsberatung an allgemein- und berufsbildenden Schulen seien die Mitarbeitenden des Kompass-Teams stets eingebunden. Dabei sei es wichtig, dass die Kooperationspartnerinnen und -partner der Jugendberufsagentur gegenüber Schulen und anderen Akteuren grundsätzlich gemeinsam auftreten und gleichzeitig eine klare Aufgabentrennung formulieren. Dies führe zu einer großen Bekanntheit und Anerkennung der Jugendberufsagentur in der gesamten Region.

Die Präsentation zum Input von Petra Jochum können Sie hier herunterladen:

Die Perspektive der Teilnehmenden

Von den rund 125 Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Veranstaltung hatten sich viele nach eigenen Angaben bereits intensiv mit der rechtskreisübergreifenden Zusammenarbeit beschäftigt. Während der Veranstaltung hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit ihre Meinung und Erfahrung einzubringen: In einer anonymen Umfrage mit dem Online-Tool Mentimeter konnten sie den Satz "Die Jugendhilfe ist dann gut in die Jugendberufsagentur eingebunden, wenn..." vervollständigen.

Insgesamt gingen 89 Antworten ein, die sich in vielen Fällen mit den Aussagen deckten, die in der Fachdiskussion bereits genannt worden waren. Die Auswertung der Antworten zeigt, dass der Fokus besonders auf dem Verhältnis der Rechtskreise untereinander und den Ressourcen der Jugendhilfe liegt. Auch die Unterstützung durch die (Kommunal)Politik und ganzheitliche Perspektive als Kernkompetenz finden sich in vielen Antworten.

Die Jugendhilfe ist dann gut in eine Jugendberufsagentur eingebunden, wenn...

  • ...jeder Mitarbeitende im Rechtskreis ein wirkliches Verständnis für die Arbeitsweisen und Methoden der anderen hat.
  • ...die gemeinsame Fallbearbeitung mit allen Trägern eine Selbstverständlichkeit ist.
  • ...sie finanziell ausgestattet ist und eine Partnerschaft auf Augenhöhe mit den anderen Rechtskreisen besteht.
  • ...es kurze Wege der Kommunikation gibt und die Aufgabenverteilung klar und transparent ist.
  • ...die Verantwortlichen dahinterstehen und bereit sind gemeinsam daran zuarbeiten.
  • ...sie ihre Leistungen flächendeckend und dauerhaft anbieten kann und in der Kommunalpolitik einen hohen Stellenwert einnimmt.
  • ...sich der ganzheitliche Arbeitsansatz in den Prozessen der Jugendberufsagentur wiederfindet.
  • ...

Diese Liste zeigt nur einige Antworten aus der Mentimeter-Umfrage. Hier finden Sie die gesammelten Antworten der Teilnehmenden zum Nachlesen:

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