Komplexe Problemlagen junger Menschen – Lösungen durch Kooperation

Jugendberufsagenturen: Auf dem Weg zu einer gelingenden Zusammenarbeit

16.03.2021 | Sybille Stöbe-Blossey und Marina Ruth

Damit die Schnittstellen, die bei komplexen Problemlagen auftauchen, nicht zu Bruchstellen für junge Menschen werden, bedarf es einer gelingenden Kooperation der verschiedenen Akteure.(1) Deshalb gibt es in vielen Städten und Kreisen in Deutschland seit einigen Jahren Jugendberufsagenturen, die Schnittstellen innerhalb des Sozialgesetzbuchs – insbesondere SGB II, III und VIII – systematisch aufarbeiten und die Bearbeitungsschritte besser miteinander verzahnen sollen. Damit sollen durch die Jugendberufsagenturen vor allem Exklusionsrisiken für die jungen Menschen verringert werden, die Gefahr laufen, bereits zu Beginn ihres Erwerbslebens "nicht ins Spiel zu kommen"(2). Die Autorinnen zeigen in ihrem Gastbeitrag mögliche Wege für eine gelingende Kooperation auf.

Dr. Sybille Stöbe-Blossey und Marina Ruth

Über die Autorinnen


Prof. Dr. Sybille Stöbe-Blossey ist Leiterin der Forschungsabteilung Bildung, Entwicklung, Soziale Teilhabe (BEST) am Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Schnittstellen in und zwischen der Bildungs- und Sozialpolitik, lokale Kooperation, Governance der Förderung von Kindern und Jugendlichen.

Marina Ruth ist wissenschaftliche Mitarbeiterin sowie Doktorandin in der Forschungsabteilung Bildung, Entwicklung, Soziale Teilhabe (BEST) am IAQ der Universität Duisburg-Essen. Sie forscht zu Schnittstellen in und zwischen Bildungs- und Sozialpolitik, Unterstützungsstrukturen für junge geflüchtete Menschen und Digitalisierungsprozessen in der Berufsbildung.

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Über das IAQ


Das Institut für Arbeit und Qualifikation – IAQ der Universität Duisburg Essen führt interdisziplinäre und international vergleichende sozialwissenschaftliche Forschung in den Bereichen Beschäftigung, Arbeit- und Arbeitsgestaltung, Sozialsysteme und Bildung durch. Kennzeichnend für das Forschungsprofil ist die Kombination von grundlagen- und anwendungsorientierter Forschung. Das IAQ ist in internationale Forschungsnetzwerke eingebunden und führt Projekte mit Förderung nationaler und internationaler Geldgeber durch, zum Beispiel für Bundesministerien, Stiftungen oder die Europäische Kommission. Mit seiner Forschung unterstützt und berät das IAQ Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft, erarbeitet wichtige Entscheidungsgrundlagen und evaluiert Praxisprojekte.

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Die Logos der Fördergeber FIS und Bundesministerium für Arbeit und Soziales
Das Forschungsprojekt SoPoDI wird vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Rahmen des Fördernetzwerks Interdisziplinäre Sozialpolitikforschung gefördert.

Von Seiten der Bundesregierung und durch die Bundesagentur für Arbeit wird der Einrichtung von Jugendberufsagenturen eine hohe Bedeutung zugemessen. Es gibt jedoch keine speziellen Richtlinien oder spezifische Fördermittel, so dass die regionalen Akteure ihre Umsetzungsstrategien auf der Grundlage der Bedarfe und Möglichkeiten vor Ort entwickeln können und müssen. Am Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen wurde von Mai 2017 bis September 2019 das Forschungsprojekt "Schnittstellen in der Sozialpolitik: Differenzierung und Integration in der Absicherung sozialer Risiken – SoPoDI" durchgeführt, das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Rahmen des Fördernetzwerks Interdisziplinäre Sozialpolitikforschung (FIS), gefördert wurde.(3) Auf der Basis der Projektergebnisse werden im Folgenden Modelle von Jugendberufsagenturen und, abgeleitet aus Analysen zur Problematik von Schnittstellen, mögliche Wege für eine gelingende Kooperation aufgezeigt.

Informationen zum IAQ-Projekt "Schnittstellen in der Sozialpolitik: Differenzierung und Integration in der Absicherung sozialer Risiken" finden sich in der Übersicht über Forschungsprojekte der Universität Duisburg-Essen.

Rahmenbedingungen für die Kooperation: Strukturen und Leitbilder in den Rechtskreisen

Copyright Informationen anzeigenVier junge Leute, zwei sitzen auf einem Tisch, zwei auf einer Bank davor.
An den Schnittstellen ihres Lebens brauchen junge Menschen gut abgestimmte Unterstützungsangebote.

Leistungen für Jugendliche im Übergang Schule – Ausbildung – Beruf sind in mehreren Rechtskreisen verankert. Die Jugendhilfe (SGB VIII) bietet nicht nur Unterstützung im Rahmen der Jugendberufshilfe als Teil der Jugendsozialarbeit; in schwierigen Lebenslagen können darüber hinaus individuelle sozialpädagogische "Hilfen zur Erziehung" (§ 27 SGB VIII) in Betracht kommen. Das SGB VIII ist ein Rahmengesetz; Unterstützungsleistungen können individuell gestaltet und von Jugendlichen auf freiwilliger Basis genutzt werden; die Umsetzung erfolgt im Wesentlichen auf kommunaler Ebene (und unterliegt als Ermessensleistung den Restriktionen kommunaler Finanzen). Die arbeitsmarktpolitischen Leistungen im Kontext des Übergangs Schule – Ausbildung werden durch Bundesgesetze definiert und durch lokale Behörden umgesetzt. Die Arbeitsagentur ist in diesem Kontext zuständig für Berufsberatung, Ausbildungsvermittlung und Maßnahmen zur Berufsvorbereitung (SGB III). Das Jobcenter ist entweder als kommunale Dienststelle (in einer sogenannten Optionskommune) oder als gemeinsame Einrichtung von Arbeitsagentur und Kommune organisiert; ihm obliegt das Fallmanagement für Jugendliche aus Haushalten, die SGB-II-Leistungen (Grundsicherung) beziehen.

Die zentralen Handlungsziele der drei Rechtskreise SGB II, III und VIII unterscheiden sich auf den ersten Blick deutlich voneinander (siehe Tabelle 1). Bei näherem Hinsehen handelt es sich allerdings um komplementäre Teilziele, die unter dem langfristigen Ziel einer Integration von Jugendlichen in Gesellschaft und Arbeit durch die Vermittlung von berufsbezogenen und sozialen Kompetenzen subsumiert werden können. Wenn die Akteure diese Perspektive einnehmen, kann dieses Gesamtziel als Anknüpfungspunkt für die Arbeit im Rahmen von Jugendberufsagenturen auf der Basis eines gemeinsamen Leitbildes identifiziert werden.

Zentrale Handlungsziele in den drei Rechtskreisen SGB II, III und VIII

Rechtskreis Agierende OrganisationZentrale HandlungszieleVerständnis von Integration
SGB IIJobcenterGrundsicherung, Beendigung von ErwerbslosigkeitErwerbsintegration
SGB IIIArbeitsagenturVermeidung von Arbeitslosigkeit, Ausgleich von Angebot und Nachfrage auf dem ArbeitsmarktNachhaltige und hochwertige Beschäftigung
SGB VIIIJugendamtFörderung der individuellen und sozialen Entwicklung junger MenschenIndividuelle Entwicklung und soziale Integration

Quelle: Hagemann/Ruth 2019(4)

Im Hinblick auf die Operationalisierung der Ziele liegen in den einzelnen Rechtskreisen unterschiedliche Anspruchsvoraussetzungen vor, die auch unterschiedliche Zugänge zu den betroffenen Jugendlichen bedingen. Wenn beispielsweise im SGB II die Jugendlichen als Teil einer Bedarfsgemeinschaft angesprochen werden, ist dies ein spezifischer und verpflichtend geregelter Zugang zu den Betroffenen, während sich etwa die Berufsberatung (SGB III) oder einige Angebote der Jugendsozialarbeit (SGB VIII) zunächst als offene Angebote an alle Jugendlichen richten. Spezifische Leistungen der Jugendhilfe basieren auf Freiwilligkeit und müssen von Jugendlichen oder ihren Familien aktiv beantragt werden. Aus der Freiwilligkeit zur Inanspruchnahme von Leistungen (SGB VIII/SGB III) und möglichen Sanktionen bei einer Verweigerung (SGB II) resultieren mögliche Konfliktlinien in der Kooperation der drei Rechtskreise. Im Projekt SoPoDI wurden in Interviews mit Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern aller Rechtskreise darüber hinaus Reibungspunkte auf Basis unterschiedlicher Professionen vor dem Hintergrund der spezifischen Rahmenbedingungen der Rechtskreise deutlich. Basis der Analysen sind 28 Gespräche mit Expertinnen und Experten in 20 Kommunen. Unter den bundesweit insgesamt 49 Gesprächspartnerinnen und -partnern waren 13 Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter der Arbeitsagenturen (AA), 16 Gesprächspartnerinnen oder -partner aus Jobcentern (JC), 15 Vertreterinnen oder Vertreter der Jugendhilfe (JH), eine Befragte oder ein Befragter aus dem Bereich Schule in einer Jugendberufsagentur (S), eine Koordinatorin oder ein Koordinator einer Jugendberufsagentur ohne Anbindung an einen Rechtskreis (K) und zwei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit (RD). Zur Ergänzung der Ergebnisse wurde eine Jugendwerkstatt in freier Trägerschaft (FT) einbezogen, die Angebote für Jugendliche macht, welche durch Jobcenter oder Jugendhilfe dorthin verwiesen werden können.

Es zeigten sich zwischen Akteuren der Jugendhilfe einerseits und der Arbeitsverwaltung andererseits Divergenzen, die ihren Ursprung haben in unterschiedlichen professionellen Orientierungen von sozialpädagogischem Personal, das in der Jugendhilfe auf der Grundlage eines Rahmengesetzes einen weiten Ermessensspielraum für individuelle Leistungen hat, und Mitarbeitenden der Arbeitsverwaltung, wo Leistungen stärker von Rechtsansprüchen geprägt sind und die Praxis der Maßnahmenplanung und -zuweisung eher als in der Jugendhilfe einer zentralen Steuerung unterliegt. Daneben wurden auch Ungleichheiten auf Basis unterschiedlicher Finanzierungsstrukturen deutlich, die dazu führen, dass Agenturen für Arbeit und Jobcenter häufig mehr Ressourcen in die Jugendberufsagenturen einbringen können als Akteure der Jugendhilfe, deren Arbeitssituation nicht selten von den Restriktionen in der kommunalen Finanzsituation geprägt ist.(5)

Drei Modelle von Jugendberufsagenturen

Grundlage für die Zusammenarbeit in den Jugendberufsagenturen ist in den meisten Fällen eine Kooperationsvereinbarung zwischen den Organisationen der drei Rechtskreise. In der Kooperationspraxis konnten im Projekt SoPoDI drei Modelle identifiziert werden. So lassen sich Jugendberufsagenturen im Sinne von Fokuspartnerschaften zwischen den beiden Rechtskreisen der Arbeitsverwaltung (SGB II und III), seltener zwischen Jugendhilfe (SGB VIII) und Jobcenter (SGB II) und im Sinne von relativ gleichwertigen Gesamtpartnerschaften aus allen drei Rechtskreisen beobachten (siehe Abbildung 1).(6)

Copyright Informationen anzeigenAbbildung 1: Modelle von Jugendberufsagenturen

Abbildung 1: Modelle von Jugendberufsagenturen

Im Sinne einer ganzheitlichen und bedarfsgerechten Unterstützung von Jugendlichen in schwierigen Lebenssituationen am Übergang Schule – Ausbildung ist im Idealfall die Gesamtpartnerschaft aus allen drei Rechtskreisen anzustreben. In der Praxis ist diese Form der Kooperation insbesondere bei langjährigen Partnerschaften zu beobachten, die häufig auf Kooperationsstrukturen basieren, die schon vor der Gründung einer Jugendberufsagentur entwickelt wurden. Dies macht zudem deutlich, dass auch eine gewisse Anlaufzeit für eine solche Gesamtpartnerschaft nötig ist. Die Etablierung solcher gesamtpartnerschaftlichen Strukturen ist jedoch durch die oben beschriebenen spezifischen Strukturen und unterschiedlichen Professionen der einzelnen Rechtskreise besonders anspruchsvoll. Zusätzlich dazu spielen – über die drei sozialpolitischen Akteure hinaus – auch weitere, insbesondere schulische, Akteure eine Rolle (siehe Abbildung 1). Trotz der zentralen Bedeutung der Schule gerade für ein frühzeitiges Erreichen der Jugendlichen ist jedoch der schulische Bereich nur selten in die Jugendberufsagenturen integriert.

Je komplexer […] die Problemlage eines jungen Menschen, desto komplexer ist auch das Hilfesystem mit seinen Schnittstellen zwischen den drei Rechtskreisen SGB II, SGB III und SGB VIII.

Stöbe-Blossey und andere 2020

Schnittstellenkonstellationen: Bedeutung und Anforderungen für die Kooperation

Auf Basis der strukturellen Rahmenbedingungen, die sich aus den gesetzlichen Regelungen in den drei Rechtskreisen SGB II, III und VIII ergeben, lassen sich bei der Unterstützung für junge Menschen in schwierigen Lebenssituationen am Übergang Schule – Ausbildung verschiedene Schnittstellenkonstellationen identifizieren, die mit möglichen Problemen verbunden sind und dafür angemessene Bearbeitungsstrategien erfordern (siehe Abbildung 2).(7)

Copyright Informationen anzeigenAbbildung 2: Schnittstellenkonstellation, Probleme und Bearbeitungsstrategien

Abbildung 2: Schnittstellenkonstellation, Probleme und Bearbeitungsstrategien

Für die Kooperationsformen im Rahmen der Jugendberufsagenturen bedeutet dies, dass sich je nach Lebenssituation der jungen Menschen auch Anforderungen an die Zusammenarbeit ändern können. So sind für Jugendliche, die sich an einer Transitionsschnittstelle befinden, sukzessive Bearbeitungsstrategien notwendig, um Lücken und Brüche in der Beratung und Hilfe zu vermeiden. Dies bedeutet, beispielsweise bei Jugendlichen, die altersbedingt aus der Unterstützung durch die Jugendhilfe ausscheiden, dass weitere relevante Kooperationspartner rechtzeitig einbezogen werden müssen, um eine gelingende Überleitung zu erreichen. Für Jugendliche, die sich durch die Überlappung von Zuständigkeiten in einem Unterstützungssystem mit mehreren Rechtskreisen befinden (Interferenz) – also zum Beispiel aufgrund komplexer Problemlagen sowohl vom Fallmanagement des Jobcenters betreut werden als auch Jugendhilfeleistungen erhalten –, werden simultane Bearbeitungsstrategien relevant: Im Idealfall verständigen sich die beteiligten Rechtskreise zur Vermeidung von Widersprüchen auf ein gemeinsames Vorgehen, bei dem jeder Kooperationspartner Leistungen zu einem Gesamtkonzept ergänzt, angepasst an die individuellen Bedarfe der Betroffenen.

Schließlich gibt es Querschnittsaufgaben, wie etwa die Berücksichtigung der Bedarfe von zugewanderten Jugendlichen oder von Menschen mit Behinderungen. Das Ziel der Förderung von Teilhabe für diese Gruppen ist grundsätzlich für alle beteiligten Organisationen relevant, ist ihnen aber, wie die eingangs vorgestellten zentralen Handlungsziele zeigen (siehe Tabelle 1) nicht eindeutig als zentrale Kernaufgabe zugewiesen (Diffusion). Hier bedarf es zielsensibler Bearbeitungsstrategien, die sicherstellen, dass übergreifende Ziele bei der Fallbearbeitung beachtet werden. Aber auch über die Diffusionskonstellation hinaus bilden sensible Bearbeitungsstrategien eine wichtige Grundlage für ein gelingendes Unterstützungssystem, indem die beteiligten Akteure auf Basis ihrer Fachqualifikation "teilhabesensibel" handeln(8): Für eine gelingende Unterstützung in allen Schnittstellenkonstellationen muss rechtskreis- beziehungsweise politikfeldübergreifendes Wissen über die gegebenenfalls relevanten Akteure und deren Handlungsoptionen vorhanden sein. Dies ist eine Voraussetzung dafür, dass Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter sensibel für Bedarfe der Jugendlichen sind, die über ihren eigenen Handlungsbereich hinaus gehen, so dass sie diese Bedarfe erkennen und der richtigen Ansprechpartnerin, dem richtigen Ansprechpartner zuordnen können.

Wege zur gelingenden Kooperation: Mögliche Formate

Um die Jugendberufsagentur als gelingende Vernetzungsstruktur vor Ort zu etablieren, bietet es sich zunächst an, dass die beteiligten Organisationen eine Kooperationsvereinbarung abschließen, die allgemeine Strukturen der Zusammenarbeit regelt. Um die Arbeit an konkreten Schnittstellenkonstellationen zu gestalten, erweisen sich in der Praxis zudem Verfahrensregelungen als sinnvoll, um hier bei der Fallbearbeitung gemeinsame und verbindliche Regelungen zum Umgang mit bestimmten Fallkonstellationen zu schaffen. Damit wird zum einen die Transparenz über das Vorgehen der Akteure erhöht, zum anderen schaffen die Verfahrensregelungen – oder Schnittstellenpapiere, wie sie teilweise genannt werden – Sicherheit. Die Arbeit von Fokuspartnerschaften der Arbeitsverwaltung wird darüber hinaus vereinfacht, da sie die gleiche Datenbank zur Dokumentation nutzen und hier die Weitergabe der Daten von betroffenen Jugendlichen vereinfacht möglich ist. Um dies für alle Beteiligten einer Jugendberufsagentur zu ermöglichen, werden teils zentral, teils in einzelnen Jugendberufsagenturen, datenschutzkonforme Kerndatensysteme entwickelt.(9)

Darüber hinaus finden sich in den untersuchten Jugendberufsagenturen zahlreiche Formate, die Kooperation auf organisationaler Ebene fördern sollen und eine Basis für sowohl simultane als auch sukzessive Bearbeitungsstrategien und eine Grundlage für teilhabesensibles Handeln bieten (siehe Abbildung 3). So gibt es in vielen Fällen regelmäßige Austauschrunden, runde Tische oder Gremien im Rahmen der Jugendberufsagenturen. Auch Hospitationen werden an verschiedenen Standorten genutzt, um den Mitarbeitenden der einzelnen Rechtskreise Einblicke in die Arbeit der weiteren Kooperationspartner zu gewähren und Wissen über Inhalte und Abläufe aufzubauen. Diesem Ziel dienen auch rechtskreisübergreifende Einarbeitungen, die vereinzelt genutzt werden, um neue Mitarbeitende der Jugendberufsagenturen in die Arbeit an den unterschiedlichen Schnittstellen einzuführen. Zudem können kooperative Fortbildungen dazu genutzt werden, um sowohl Wissen und Vertrauen aufzubauen, als auch den organisationsübergreifenden Austausch zu fördern.

Ein Beispiel, wie ein solches Format aufgebaut sein kann, bietet das IAQ-Konzept "Kooperative Fortbildung in Jugendberufsagenturen".

Copyright Informationen anzeigenAbbildung 3: Simultane und sukzessive Bearbeitungsstrategien und mögliche Kooperationsformate in Jugendberufsagenturen

Abbildung 3: Simultane und sukzessive Bearbeitungsstrategien und mögliche Kooperationsformate in Jugendberufsagenturen

Auf der Ebene der Bearbeitung von Fällen haben sich in den untersuchten Jugendberufsagenturen zahlreiche Formate entwickelt, die für die simultane Bearbeitung von Interferenz-Schnittstellen (Überlappung von Zuständigkeiten) oder eine sukzessive Bearbeitungsstrategie bei Übergängen (Transition) genutzt werden. Bei anlassbezogenen oder regelmäßigen Fallbesprechungen, beziehungsweise Fallkonferenzen, können anonymisierte oder konkrete Fallkonstellationen (je nach Bedarf und je nach Regelungen zum Datenschutz) über die Rechtskreise hinweg besprochen werden. Daneben gibt es in einigen Fällen regelmäßige Hilfeplanforen an Schulen mit hohen Anteilen an Schülerinnen und Schülern in schwierigen Lebenssituationen, die sowohl für simultane als auch für sukzessive Bearbeitungsstrategien eingesetzt werden können und neben den drei Rechtskreisen SGB II, III und VIII explizit schulische Akteure wie Lehrkräfte und die Schulsozialarbeit miteinbeziehen.

Ein zentrales Format im Rahmen von Überleitungen zwischen verschiedenen Akteuren (Transition) ist die "warme Übergabe", wie sie in der Praxis oft genannt wird: Hierbei werden die betroffenen Jugendlichen bei Rechtskreiswechseln an konkrete Ansprechpartnerinnen oder -partner verwiesen; teilweise auch zum ersten Gespräch im neuen Zuständigkeitsbereich begleitet. Darüber hinaus tauschen sich auch die jeweiligen Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter, die in die Transition involviert sind, zur bisherigen und geplanten Hilfe aus, was Brüche und Lücken für die Jugendlichen vermeiden soll. Die Formate auf der Ebene der Bearbeitung von Fällen sind dabei in den untersuchten Jugendberufsagenturen in unterschiedlichem Maße von Verfahrensregelungen auf der Organisationsebene getragen. Dabei ist auch ein Austausch zwischen den Ebenen (Organisationen/Bearbeitung von Fällen) entscheidend, um Bedarfe wechselseitig zu spiegeln und rückzukoppeln, daraus Formate zu entwickeln und sie jugendberufsagenturweit zu verankern.

Insgesamt sind die Wege zu einer gelingenden Kooperation im Rahmen von Jugendberufsagenturen somit vielfältig und müssen auf unterschiedlichen Ebenen und über alle beteiligten Rechtskreise hinweg langfristig verfolgt werden. Formate sukzessiver, simultaner und teilhabesensibler Bearbeitungsstrategien, die in der Jugendberufsagentur verankert werden, können den Kooperationspartnern helfen, Jugendliche in schwierigen Lebenssituationen ganzheitlich und bedarfsgerecht beim Übergang von der Schule in die Ausbildung zu unterstützen.

Gelingensfaktoren für Jugendberufsagenturen, eine Übersicht in Stichworten

  • Gesamtziel
  • gemeinsames Leitbild als Basis
  • Anknüpfen an bestehende Kooperationsstrukturen
  • langjährige Partnerschaften
  • Anlaufzeit nötig
  • sukzessive Bearbeitungsstrategien
  • Überleitung
  • simultane Bearbeitungsstrategien
  • gemeinsames Vorgehen
  • Gesamtkonzept
  • zielsensible Bearbeitungsstrategien
  • auf Basis ihrer Fachqualifikation "teilhabesensibel" handeln
  • Wissen über relevante Akteure
  • Wissen über die Handlungsoptionen der Akteure
  • Kooperationsvereinbarung
  • konkretisierende Verfahrensregelungen
  • Regeln für Fallkonstellation
  • Datenbank zur Dokumentation
  • Austauschrunden
  • runde Tische
  • gemeinsame Gremien
  • Hospitationen
  • rechtskreisübergreifende Einarbeitungen
  • kooperative Fortbildungen
  • Wissen und Vertrauen aufbauen
  • anlassbezogene/regelmäßige Fallbesprechungen/Fallkonferenzen
  • Hilfeplanforen an Schulen
  • warme Übergabe
  • Austausch zwischen den hierarchischen Ebenen

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Zum Gastbeitrag
Fußnoten und Literaturverzeichnis

Fußnoten und Literaturverzeichnis

Fußnoten

  • 1Eine Liste mit den Gelingensfaktoren finden Sie am Ende des Textes.
  • 2Rüb 2010, Seite 228
  • 5Für weitergehende Ausführungen zu den strukturellen Rahmenbedingungen in Bezug auf die Kooperationspartner der Jugendberufsagenturen siehe auch Stöbe-Blossey et al. 2020, Kapitel 3.1 und 3.2.Weitere Ausführungen
  • 6Weitere Informationen zu den drei Modellen von Jugendberufsagenturen finden sich bei Hagemann/Ruth 2019Weitere Ausführungen
  • 7Für weitergehende Ausführungen zu den Schnittstellenkonstellationen siehe auch Stöbe-Blossey et al. 2020, Kapitel 2.2.1.Weitere Ausführungen
  • 8Weitere Ausführungen zur Diffusionskonstellation und der Bedeutung "teilhabesensibler" Bearbeitungsstrategien siehe auch Stöbe-Blossey et al. 2020, Kapitel 2.2.1 und 5.Weitere Ausführungen
  • 9Zu datenschutzrechtlichen Bestimmungen und Einschätzungen der Gesprächsteilnehmenden siehe auch: Stöbe-Blossey et al. 2020, Kapitel 3.2.2 und 3.4.Weitere Ausführungen

Literatur

Bundesagentur für Arbeit (2018): Bericht zum Stand der Umsetzung und Weiterentwicklungsperspektiven. Entwicklungsstand der Jugendberufsagenturen im Bundesgebiet und in den Ländern. Sachstandsbericht. Nürnberg.

Bundesregierung (2013): Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. Deutschlands Zukunft gestalten. 18. Legislaturperiode. Berlin.

Hagemann, Linda / Ruth, Marina (2019): Schnittstellen in der Sozialpolitik. Eine Analyse am Beispiel der Einrichtung von Jugendberufsagenturen. Unter Mitarbeit von Charlotte Alfuss. Institut Arbeit und Qualifikation. IAQ-Report 2019-02. Duisburg.

Rüb, Friedbert W. (2010): Neue Unsicherheiten, neue soziale Risiken und die Herausforderungen moderner Wohlfahrtsstaaten. Eine Problemskizze über Gefahren und Risiken im Bereich des Sozialen zu Beginn des 21. Jahrhunderts. In: Herfried Münkler, Matthias Bohlender und Sabine Meurer (Hrsg.): Handeln unter Risiko. Gestaltungsansätze zwischen Wagnis und Vorsorge. transcript Verlag. Bielefeld.

Stöbe-Blossey, Sybille / Brussig, Martin / Ruth, Marina / Drescher, Susanne / Alfuss, Charlotte (2020): Schnittstellen in der Sozialpolitik: Differenzierung und Integration in der Absicherung sozialer Risiken. Endbericht des Projekts, gefördert vom BMAS-FIS. Fördernetzwerk interdisziplinäre Sozialpolitikforschung (FIS). Duisburg.

Stöbe-Blossey, Sybille / Köhling, Karola / Hackstein, Philipp / Ruth, Marina (2019): Integration durch Bildung als Kooperationsaufgabe. Potenziale vorbeugender Sozialpolitik. VS Verlag für Sozialwissenschaften. Wiesbaden.

Köhling, Karola / Stöbe-Blossey, Sybille (2018): Kooperation von Akteuren vorbeugender Sozialpolitik. Eine Analyse am Beispiel der Berufsorientierung jugendlicher Flüchtlinge. Unter Mitarbeit von Philipp Hackstein. Forschungsinstitut für gesellschaftliche Weiterentwicklung e.V. Vorbeugende Sozialpolitik, 13. Düsseldorf.