Jugendberufsagentur im Fokus
Grundlegende Aspekte der rechtskreis- und fachübergreifenden Zusammenarbeit
18.07.2024 | Mareike Berghaus, Anne Knappe, Frank Neises, Lydia Schwebig
Die Landschaft der Jugendberufsagenturen in Deutschland ist vielfältig. Denn die Gestaltung und Umsetzung orientieren sich maßgeblich an lokalen Rahmen- und Ausgangsbedingungen, weshalb sich die Bündnisse in ihrer Umsetzung voneinander unterscheiden können. Das Konzept von Jugendberufsagenturen ist jedoch nicht beliebig. In diesem Beitrag beschreibt die Servicestelle Jugendberufsagenturen, was eine Jugendberufsagentur ausmacht und welche grundlegenden Aspekte aus ihrer Sicht für eine erfolgreiche Umsetzung unabdingbar sind. Dabei orientiert sie sich an wissenschaftlichen Erkenntnissen und praktischem Erfahrungswissen aus Jugendberufsagenturen.
Die Ausgangslage – Unterstützungsmöglichkeiten für junge Menschen am Übergang
Bedarfsorientierte und individuelle Unterstützung für junge Menschen
Der Übergang von der Schule in den Beruf ist ein wichtiger Schritt für junge Menschen auf ihrem Weg in die Eigenständigkeit – und für viele eine sehr herausfordernde Zeit. Es geht nicht nur darum, sich für einen Beruf zu entscheiden. Der Übergang umfasst viele Anforderungen, die im 15. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung als die drei Kernherausforderungen der Jugendphase bezeichnet werden. Es gilt, soziale und berufliche Handlungsfähigkeit zu erlangen (Qualifizierung), zunehmend soziokulturelle und ökonomische Verantwortung für sich selbst zu übernehmen (Verselbstständigung) und eine Balance zwischen individueller Freiheit und gesellschaftlichen Erwartungen zu finden (Selbstpositionierung).(1)
Dabei verlaufen die Entwicklungen in der Jugendphase nicht zwingend linear und die benannten Themen und Herausforderungen beeinflussen sich gegenseitig. Nicht nur, aber besonders dann, wenn ein junger Mensch mit unterschiedlichen Bedarfs- oder Problemlagen konfrontiert ist, braucht es einen umfassenden Unterstützungsansatz, der sowohl die berufliche als auch die soziale Integration berücksichtigt und die individuellen Lebensumstände und Bedarfe in ihrer Gesamtheit berücksichtigt.(2) Auch durch den Umstand, dass die Ungelerntenquote junger Erwachsener seit Jahren steigt und der damit verbundenen politischen Forderung, dass niemand am Übergang von der Schule ins Berufsleben verloren gehen darf, wird deutlich, wie wichtig es ist, dass jedem jungen Menschen ein passendes Angebot gemacht wird. Dazu zählt auch, dass die Begleitung kontinuierlich erfolgt, um Brüche und unnötige Wartezeiten am Übergang zu vermeiden.(3)
Viel hilft nicht immer viel
In der Praxis ist eine solche umfassende und individuelle Unterstützung jedoch häufig nicht ohne Weiteres umsetzbar, weil die Expertisen und Leistungen zur Unterstützung junger Menschen in der Phase des Übergangs von der Schule in die Eigenständigkeit auf viele unterschiedliche Akteure und Angebote verteilt sind. Neben den Regelangeboten der Sozialleistungsträger Agentur für Arbeit, Jobcenter und Jugendhilfe(4) bestehen noch weitere Angebote, zum Beispiel von Schulen, Bildungsträgern und vielen mehr. 2024 zählte das Bundesinstitut für Berufsbildung 282 Programme von Bund und Ländern zur Unterstützung junger Menschen am Übergang von der Schule in den Beruf sowie 115 schulische Bildungsgänge der Länder. Dazu kommen regionale Angebote und lokale Projekte.(5) Vielerorts ist daraus ein Labyrinth aus Angeboten entstanden, welches für junge Menschen schwer zu durchschauen ist.(6) Sie wissen deshalb oft nicht, wer wann für welche Fragen zuständig ist und finden in der Folge keine oder nicht die richtige Unterstützung.
Aber auch aufseiten der beratenden Fachkräfte kann es zu Unklarheiten und Abstimmungsproblemen im Unterstützungsprozess kommen. So kann es einerseits passieren, dass ein junger Mensch zeitgleich von unterschiedlichen Stellen unterstützt wird, die Hilfe jedoch unabgestimmt erfolgt und sich dadurch zum Beispiel doppelt oder gar im Widerspruch zueinander steht. Anderseits können unabgestimmte Zuständigkeitswechsel zu Unterbrechungen in der Betreuung führen, die schlimmstenfalls Brüche in den Bildungsbiografien der jungen Menschen zur Folge haben oder unbekannte Verbleibe nach sich ziehen.
Insgesamt wird also deutlich: Es besteht kein Mangel an Angeboten. Das bestehende Angebot entspricht jedoch im Hinblick auf Zugänge, Individualität und Umfang sowie Kontinuität der Beratung und Begleitung zu häufig den Bedarfen vieler junger Menschen nicht oder nicht in ausreichendem Maße.
Es gibt keinen Angebotsmangel. Doch die Unterstützungsangebote entsprechen im Hinblick auf Zugänge, Individualität, Umfang und Kontinuität oft nicht den Bedarfen junger Menschen.
Jugendberufsagenturen – viele Partner, gemeinsame Ziele
Eine zentrale Stelle für alle am Übergang
Hier setzt die Idee der Jugendberufsagentur an. Denn in einer Jugendberufsagentur schließen sich verschiedene Akteure am Übergang Schule – Beruf zu einem lokalen Bündnis zusammen. Es handelt sich dabei nicht um eine neue Behörde, sondern um ein freiwilliges Kooperationsbündnis. Durch die enge Zusammenarbeit wird es möglich, eine zentrale Stelle rund um alle Belange des Übergangs zu schaffen und junge Menschen und ihre Bedarfe umfassend in den Blick zu nehmen.
Daraus ergeben sich zwei grundlegende Ziele für die Zusammenarbeit:
- Junge Menschen abgestimmt zu beraten und zu begleiten
- Strukturen, Prozesse und Angebote am Übergang Schule – Beruf unter Berücksichtigung aller relevanten Partner vor Ort zu verbessern
Breites Aufgabenspektrum
Mit den Zielen von Jugendberufsagenturen geht ein breites Aufgabenspektrum einher. Es reicht von Fragen der internen Organisation der Zusammenarbeit über die Öffentlichkeits- und Netzwerkarbeit bis hin zur gemeinsamen Fallarbeit. Auch wenn sich diese Aufgaben in jedem Kooperationsbündnis stellen, können sie aufgrund der unterschiedlichen lokalen Rahmenbedingungen in der Praxis sehr unterschiedlich gestaltet werden.
Beteiligte Partner
Regelleistungen für junge Menschen am Übergang Schule – Beruf sind in unterschiedlichen Sozialgesetzbüchern (SGB II, III, VIII, IX) verankert und werden von unterschiedlichen Leistungsträgern erbracht. Agentur für Arbeit, Jobcenter sowie die Jugendhilfe sind in ihrer jeweils eigenen Leistungsverantwortung und mit der entsprechenden Expertise bezüglich der Begleitung und Unterstützung Jugendlicher und junger Erwachsener immer zentraler Bestandteil einer Jugendberufsagentur.(7)
Jobcenter
Jobcenter sind für die jungen Menschen zuständig, die aufgrund ihrer Einkommenssituation hilfebedürftig und somit nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) auf Leistungen der Grundsicherung angewiesen sind. Dazu gehören ebenso Jugendliche und junge Erwachsene, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, da ihre Eltern den Lebensunterhalt nicht eigenständig sichern können. Neben der Bereitstellung von Geld- und Sachleistungen (passive Leistungen) zur Sicherung des Lebensunterhalts (Bürgergeld), haben Jobcenter die Aufgabe, junge Menschen darin zu unterstützen, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten und damit eine Beendigung beziehungsweise Verringerung der Hilfebedürftigkeit zu erreichen. Dazu gehören Fördermaßnahmen (aktive Leistungen) im Rahmen der Ausbildungs- beziehungsweise Arbeitsvermittlung wie auch weiterführende Beratung und Begleitung hinsichtlich der persönlichen Lebenssituation (zum Beispiel bei Straffälligkeit, Sucht, Problemen in der Familie). Die Jobcenter können dabei – wie gegebenenfalls auch die Jugendämter und anders als die Agenturen für Arbeit – die ganze Bedarfsgemeinschaft in den Blick nehmen.
Für die Jugendberufsagentur mindestens relevante Arbeitsbereiche: Ausbildungs- und Arbeitsvermittlung u25, Fallmanagement u25, Leistungsgewährung, berufliche Rehabilitation und Teilhabe (Reha-Team), Arbeitgeberservice
Trägerschaft: Rund drei Viertel der bundesweit 405 Jobcenter sind als gemeinsame Einrichtungen (gE) organisiert. Sie werden gemeinsam vom kommunalen Träger (Kreis oder kreisfreie Stadt) und der in dessen Gebiet tätigen Agentur für Arbeit betrieben. Bei rund einem Viertel der Jobcenter werden die Leistungen in kommunaler Eigenverantwortung ohne Beteiligung der Bundesagentur für Arbeit erbracht (zugelassene kommunale Träger beziehungsweise zkT, auch kommunales Jobcenter beziehungsweise kJC).(8)
Agentur für Arbeit
Am Übergang Schule – Beruf sind die Agenturen für Arbeit nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) für die Berufsberatung und -orientierung sowie die Vermittlung in Ausbildung und Arbeit zuständig. Leistungen, die laut Gesetz uneingeschränkt allen jungen Menschen zustehen. Darüber hinaus erbringen sie Unterstützungsleistungen während der Berufswahl sowie vor, während und nach einer Ausbildung entsprechend spezifischer Bedarfe einzelner junger Menschen.(9) Als Rehabilitationsträger sind die Agenturen für Arbeit nach SGB III mit den Reha-Teams und nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) für spezifische Unterstützungsleistungen für junge Menschen mit Behinderungen zuständig, um deren Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen.
Für die Jugendberufsagentur mindestens relevante Arbeitsbereiche: Berufsberatung vor dem Erwerbsleben (Team BBvE), Ausbildungsvermittlung, berufliche Rehabilitation und Teilhabe (Reha-Team), Berufsberatung im Erwerbsleben (Team BBiE), Arbeitsvermittlung, Arbeitgeberservice
Trägerschaft: Die bundesweit 150 Agenturen für Arbeit mit etwa 600 Niederlassungen(10) werden zentral durch die Bundesagentur für Arbeit administriert und fachlich gesteuert.
Jugendhilfe
Jugendhilfe hat nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) in Bezug auf junge Menschen den Auftrag, diese in ihrer individuellen Entwicklung zu fördern und dazu beizutragen, Benachteiligungen in allen sie betreffenden Lebensbereichen abzubauen. Sozialpädagogische Unterstützung zur Förderung der schulischen und beruflichen Ausbildung, der Eingliederung in die Arbeitswelt und der sozialen Integration sollen(11) alle diejenigen erhalten, die sozial benachteiligt oder individuell beeinträchtigt sind.
Für die Jugendberufsagentur mindestens relevante Arbeitsbereiche: Jugendsozialarbeit, Jugendhilfeplanung, Allgemeiner Sozialer Dienst (ASD), Jugendhilfe im Strafverfahren, Schulsozialarbeit. An der Umsetzung der Angebote der Jugendhilfe können auf operativer Ebene je nach kommunalen Gegebenheiten sowohl Fachkräfte des kommunalen Jugendamts als auch der anerkannten freien Träger der Jugendhilfe beteiligt sein.
Trägerschaft: Die Umsetzung von Jugendhilfeleistungen ist ausschließlich kommunale Aufgabe und obliegt 559 Jugendämtern (örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe), die auf Basis bundesgesetzlicher Regelungen vor Ort individuell ausgestaltet wird und in Teilen stark von kommunalpolitischen Entscheidungen abhängig ist.(12)
Das gemeinsame Ziel der Sozialleistungsträger besteht in der nachhaltigen Integration Jugendlicher und junger Erwachsener in die Gesellschaft und in den Arbeitsmarkt. Gleichzeitig verdeutlichen die verschiedenen gesetzlichen Aufträge, Zuständigkeiten und Leistungen, dass die Handlungslogiken und Herangehensweisen zur Umsetzung dieses Ziels durchaus unterschiedlich sind. Umso wichtiger ist es, dass alle Beteiligten eine gemeinsame Leitidee von ihrer Jugendberufsagentur entwickeln und sich auf verbindliche jugendberufsagenturspezifische Ziele, Strukturen und Prozesse der Zusammenarbeit verständigen.(13)
Dabei braucht es die Beteiligung aller Organisationsebenen der Partner. Es reicht nicht aus, ausschließlich auf eine Zusammenarbeit einzelner Teams oder Personen auf operativer Ebene zu setzen. Vielmehr ist es erforderlich, dass die Beteiligung an einer Jugendberufsagentur in den Partnerorganisationen vertikal durch alle Organisationsebenen hindurch von der Geschäfts- bzw. Dezernats- oder Amtsleitung über die Team- und Referatsleitungen bis hin zu den operativ tätigen Fachkräften strukturell verankert und mitgetragen wird. Nur so können die erforderliche Rückendeckung und Ressourcenbereitstellung für das gemeinsame Vorhaben gewährleistet werden.
Nicht nur rechtskreis-, sondern auch fachübergreifend
Am Übergang Schule – Beruf gibt es neben Agenturen für Arbeit, Jobcentern und der Jugendhilfe eine Reihe weiterer Akteure, die wichtige Unterstützung für Jugendliche und junge Erwachsene leisten sowie als (Netzwerk-)Partner oder Multiplikatoren Zugänge zu jungen Menschen ermöglichen können. Deshalb ist zum Beispiel die enge Zusammenarbeit mit Schulen unabdingbar. Mit Blick auf die Begleitung junger Menschen mit Beeinträchtigung spielen die Integrations- und Inklusionsämter eine zentrale Rolle. Aber auch weitere Akteure, beispielweise Bildungsträger, Jugendmigrationsdienste, Kammern oder Wirtschaftsverbände, sind wichtige Partner bei der bedarfsorientierten und individuellen Beratung und Unterstützung junger Menschen.
Mit welchen Partnern wie intensiv zusammengearbeitet wird, entscheidet jedes Bündnis individuell. So kann es weitere grundständige Partner geben, die strategisch an der Umsetzung der Jugendberufsagentur beteiligt sind. Häufig sind dies zum Beispiel Schulen, Schulverwaltungen und die Eingliederungshilfe. Akteure können aber auch konzeptionell oder auf der operativen Ebene einbezogen werden, wie es oft bei freien Trägern der Jugendhilfe der Fall ist. Zudem ist eine Beteiligung möglich, bei der Akteure – ohne unmittelbar strategisch, konzeptionell oder operativ in die Jugendberufsagentur eingebunden zu sein – mit ihren Angeboten und als Multiplikatoren zum Netzwerk der Jugendberufsagentur gehören.
Ansprüche an die Zusammenarbeit – Was Jugendberufsagenturen leisten sollen
Handeln in gemeinsamer Verantwortung
Eine wichtige Grundlage für eine gelingende Zusammenarbeit in Jugendberufsagenturen ist, dass die Partner sich als Verantwortungsgemeinschaft begreifen. Damit ist gemeint, dass die Beteiligten über ihre institutionellen Grenzen hinweg eng zusammenarbeiten und diese Zusammenarbeit durch eine gemeinsame Haltung geprägt ist, die junge Menschen mit ihren Bedarfen in den Mittelpunkt stellt und dabei möglichst pragmatisch nach individuellen Problemlösungen sucht.(14) Die Partner fühlen sich grundsätzlich als Gemeinschaft für den jungen Menschen und die Gesamtheit seiner Fragen und Herausforderungen auf dem Weg in die Eigenständigkeit verantwortlich. Entsprechend sind im Rahmen der Möglichkeiten nicht die jeweiligen Zuständigkeiten, sondern die Situation der jungen Menschen vor Ort handlungsleitend und alle Beteiligten fügen ihre jeweiligen Expertisen zu einem Gesamtangebot zusammen.
In der Verantwortungsgemeinschaft fühlen sich alle Partner für den jungen Menschen und die Gesamtheit seiner Fragen und Herausforderungen verantwortlich.
Wichtig ist allerdings auch das Bewusstsein dafür, dass eine tragfähige Gemeinschaft nicht einfach ad hoc beschlossen werden kann – sie muss sich im gegenseitigen Austausch entwickeln und es gilt, Vertrauen sowie verbindende Elemente zwischen den Beteiligten zu stärken. Dies gilt es, insbesondere auf der Leitungsebene, aktiv zu unterstützen und erfordert bei allen Beteiligten eine hohe Kooperationsbereitschaft. Zudem müssen Strukturen und Prozesse so angepasst werden, dass sich alle Partner entsprechend ihrer Aufgaben und Möglichkeiten in die Zusammenarbeit einbringen können. Dies setzt voraus, dass man die jeweiligen Handlungslogiken und Aufgabengebiete der Partner kennt und bei der Entwicklung der Zusammenarbeit auf die jeweiligen Besonderheiten eingehen kann.
Erleichterter Zugang zu Unterstützung
Eine wesentliche Idee hinter dem Konzept der Jugendberufsagentur ist es, dass junge Menschen sich im oben beschriebenen Labyrinth nicht allein zurechtfinden müssen, sondern sich zentral an eine Jugendberufsagentur wenden können. So kommen sie mit den für sie passenden Ansprechpersonen und damit den jeweiligen Unterstützungsangeboten in Kontakt und ihnen steht das gesamte Angebotsspektrum aller Partner offen – unabhängig davon, an wen sie sich zuerst wenden. Um als zentrale Anlaufstelle wirksam zu werden, müssen Jugendberufsagenturen für junge Menschen möglichst niedrigschwellig erreichbar sowie nach außen gut sichtbar sein. Die Niedrigschwelligkeit ergibt sich zunächst daraus, dass Jugendberufsagenturen ihr Angebot erst einmal grundsätzlich an alle jungen Menschen richten. Dadurch wird einer möglichen Stigmatisierung und Exklusion durch die Zuordnung nach Defiziten vorgebeugt.(15)
Darüber hinaus bedarf es einer den jeweiligen örtlichen Rahmenbedingungen entsprechenden Kombination von Zugangswegen. Das können gut erreichbare zentrale Anlaufstellen, sozialraumorientierte Anlaufstellen – zum Beispiel in Schulen oder Jugendzentren –, mobile Beratungsangebote, Angebote aufsuchender Arbeit, digitale Zugänge oder Zugänge über Multiplikatoren und das Netzwerk der Jugendberufsagentur sein. Es ist außerdem hilfreich, für die Jugendberufsagentur ein eigenes Logo, eine einheitliche Online-Präsenz und zentrale Kontaktmöglichkeiten zu schaffen. Wann immer sinnvoll und möglich, sollten die beteiligten Fachkräfte als Vertreterinnen und Vertreter der Jugendberufsagentur auftreten. Bestenfalls wird es für junge Menschen zur Normalität, sich bei Fragen und Problemen einfach an "ihre" Jugendberufsagentur zu wenden.
Unterstützung "wie aus einer Hand"
Die Unterstützung für Jugendliche und junge Erwachsene soll im besten Falle "wie aus einer Hand" erfolgen. Das bedeutet nicht nur, dass Zugänge erleichtert werden, indem sich die unterschiedlichen Partner gemeinsam als eine Jugendberufsagentur positionieren. Auch "hinter den Kulissen" müssen Strukturen aufeinander abgestimmt sowie Abläufe harmonisiert werden. Die Fachkräfte der Jugendberufsagentur sollten ein gemeinsames Verständnis von Beratung sowie rechtskreis- und fachübergreifende Fallbearbeitung entwickeln und Unterstützungsprozesse miteinander abstimmen, um eine kontinuierliche Begleitung ohne Brüche ermöglichen zu können.
Weiterentwicklung von Strukturen, Prozessen und Angeboten durch abgestimmtes Vorgehen
Das zwischen den Akteuren abgestimmte Vorgehen macht automatisch auch eine Weiterentwicklung von Strukturen, Prozessen und Angeboten am Übergang erforderlich. Denn wenn die kooperierenden Partner ihre jeweiligen Leistungen sowie die Angebote weiterer Akteure im Netzwerk systematisch zu einem gemeinsamen Angebotsspektrum bündeln, können Fachkräfte jungen Menschen nicht nur passgenauere Angebote machen; dieses Vorgehen ermöglicht auch eine bessere Übersicht über die Gesamtheit der vorhandenen Unterstützungsleistungen. Dadurch können Prozesse und Angebote systematischer analysiert, aufeinander abgestimmt und weiterentwickelt werden, beispielsweise weil Förderlücken oder Probleme an Schnittstellen identifiziert werden.
Zwischen Theorie und Praxis – Herausforderungen und Bedarfe von Jugendberufsagenturen
Im Sommer 2021 hat die Servicestelle Jugendberufsagenturen eine bundesweite Erhebung durchgeführt. Zu diesem Zeitpunkt war die flächendeckende Einrichtung von Jugendberufsagenturen in Deutschland mit 353 Bündnissen schon weit fortgeschritten. Mittlerweile gibt es 366 Bündnisse, die sich auf 359 Kreise und kreisfreie Städte verteilen (Stand: Juli 2024).(16) Gleichzeitig zeigen die Erhebungsergebnisse und der intensive Austausch der Servicestelle mit der Praxis, dass Jugendberufsagenturen sich in ihren Entwicklungsstadien voneinander unterscheiden.(17) Die Gründung einer Jugendberufsagentur ist demnach nur ein erster Schritt. Denn das grundlegende Ziel, die Situation junger Menschen in der Phase des Übergangs von der Schule in den Beruf bestmöglich zu unterstützen, ist mit hohen Anforderungen verbunden:
In der Praxis gibt es einige Gründe, weshalb es schwierig sein kann, diesem Anspruch von Beginn an gerecht zu werden. Der Aufbau einer reibungslosen rechtskreis- und fachübergreifenden Zusammenarbeit ist ein langwieriger und komplexer Prozess. Die Beteiligten vor Ort müssen zusammen eine Vorstellung davon entwickeln, wie die Jugendberufsagentur gestaltet werden kann und wie die Arbeit miteinander und mit den jungen Menschen aussehen soll. Diese Ideen gilt es dann sukzessive umzusetzen, indem systematisch Strukturen und Prozesse angepasst oder ganz neu erarbeitet werden. Die Art und das Voranschreiten der Entwicklung einer Jugendberufsagentur hängt also von vielen Faktoren ab und kann unterschiedlich viel Zeit benötigen. Dazu kommt, dass der Prozess vor dem Hintergrund einer Reihe von Herausforderungen gestaltet werden muss. Dazu gehört zum Beispiel, dass …
- verschiedene Akteure mit unterschiedlichen gesetzlichen und fachlichen Aufträgen, Zielvorgaben, Zielgruppen, Organisationsstrukturen und -kulturen sowie finanzieller Ausstattung zusammenkommen,
- es über die in den Sozialgesetzen formulierte grundsätzliche Verpflichtung zur Zusammenarbeit zwischen Leistungsträgern hinaus keine Vorgaben zur Einrichtung und Umsetzung gibt, sodass die Bündnisse zwar entsprechend der jeweiligen örtlichen Situation gestaltet werden, sich gleichzeitig jedoch nicht an Vorgaben orientieren oder auf vorgefertigte Konzepte zurückgreifen können,
- nicht immer die Unterstützung und der notwendige Wille zur Zusammenarbeit durch alle Führungskräfte auf den Leitungsebenen der Partner gegeben ist,
- häufig noch kein Bewusstsein dafür entwickelt wurde, dass die Umsetzung einer Jugendberufsagentur zusätzliche Ressourcen erfordert und nicht "nebenbei" erfolgen kann und
- die Umsetzung häufig und insbesondere, wenn die Zusammenarbeit noch nicht systematisch erfolgt, stark vom Engagement einzelner Beteiligter abhängt.
Die Entwicklung einer Jugendberufsagentur gleicht eher einem Marathon als einem Sprint.
Was braucht es für eine gelingende Zusammenarbeit?
Für die Weiterentwicklung der Zusammenarbeit sind daher unterschiedliche Aspekte von Bedeutung. Es braucht unter anderem…
- ein breites Netzwerk vor Ort, um junge Menschen individuell und bedarfsorientiert unterstützen zu können,
- eine vertrauensvolle und transparente Zusammenarbeit auf Augenhöhe, aus der mit der Zeit eine echte Verantwortungsgemeinschaft entstehen kann,
- starken Rückhalt aller Beteiligten vor Ort, sowohl durch die tatkräftige Unterstützung auf allen institutionellen, politischen und Verwaltungsebenen als auch durch personelle und finanzielle Ressourcen,
- verbindliche Strukturen und Prozesse sowie eine strukturierte Weiterentwicklung der Kooperation,
- regelmäßigen Austausch, nicht nur innerhalb der Jugendberufsagentur, sondern auch mit anderen Kooperationsbündnissen, sowie
- Orientierungshilfen, Materialien und gute Beispiele aus der Praxis.
Praxishilfen: "Jugendberufsagenturen gestalten"
Die Umsetzung und Weiterentwicklung einer Jugendberufsagentur ist komplexer Prozess. Die Servicestelle Jugendberufsagenturen hat gemeinsam mit dem ism Institut für Sozialpädagogische Forschung e. V. sowie in Zusammenarbeit mit Vertreterinnen und Vertretern aus Jugendberufsagenturen die Reihe "Jugendberufsagenturen gestalten" entwickelt. Die Praxishilfen der Reihe nehmen verschiedene Ausschnitte des breiten Aufgabenspektrums in den Blick, greifen zentrale Fragestellungen auf und geben beispielhaft Anregungen auf Basis guter Erfahrungen aus Jugendberufsagenturen.
Zu den Praxishilfen
Wege entstehen im Gehen – Jugendberufsagentur als Entwicklungsaufgabe
Das gemeinsame Handeln im Sinne einer Verantwortungsgemeinschaft ist also voraussetzungsvoll, der Weg von der Idee der Zusammenarbeit bis zur langfristigen Umsetzung weit und der Anspruch an Jugendberufsagenturen hoch. Das heißt aber nur, dass die Entwicklung einer Jugendberufsagentur eher einem Marathon als einem Sprint gleicht. Dafür braucht es auf allen Seiten ein gewisses Maß an Durchhaltevermögen. Doch Wege entstehen, indem man sie geht, und Entwicklung ist ein fortwährender Prozess, der durch gemeinsame Anstrengungen vorangetrieben wird. Dass es sich lohnt, zeigen viele Beispiele aus Jugendberufsagenturen, die belegen, dass Verbesserungen für Jugendliche und junge Erwachsene vor Ort immer dann möglich sind, wenn alle Beteiligten sich einsetzen und gemeinsam an einem Strang ziehen.
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Clip: Jugendberufsagentur kurz erklärt
Der Film der Servicestelle Jugendberufsagenturen zeigt, worum es sich bei einer Jugendberufsagentur handelt, warum es sie gibt und wer in der Regel daran beteiligt ist. Deutlich wird, dass die Umsetzung ganz verschieden aussehen kann, aber auch, dass die Zusammenarbeit sich lohnt.
Zum FilmBundesweite Übersicht zu Jugendberufsagenturen
Eine interaktive Deutschlandkarte und eine Suchfunktion mit verschiedenen Filtern bieten Informationen zu allen Jugendberufsagenturen im Bundesgebiet. Die Übersicht basiert auf einer bundesweiten, quantitativen Erhebung vom Sommer 2021 und wird fortlaufend aktualisiert.
Zur ÜbersichtJugendberufsagenturen bundesweit
Die Servicestelle beleuchtet die Ergebnisse ihrer quantitativen Erhebung zum bundesweiten Bestand von Jugendberufsagenturen, die zeigen, wie viele Jugendberufsagenturen es gibt, wie sie sich organisieren und mit wem sie zusammenarbeiten. (Stand: 2021)
Zur PublikationPraxisbereich des Portals
Jugendberufsagenturen sind Expertinnen für die Umsetzung rechtkreisübergreifender Zusammenarbeit, weshalb ihr Erfahrungswissen in Interviews und Praxisberichten von der Servicestelle im Praxisbereich des Portals sicht- und nutzbar gemacht wird. Nach dem Motto: Aus der Praxis für die Praxis.
Überblick PraxisbereichFußnoten mit Literaturangaben